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Die AnnäherungOverlay E-Book Reader

Die Annäherung

Roman | Anna Mitgutsch


2016 Luchterhand
448 Seiten
ISBN: 978-3-641-16005-0

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Kurztext / Annotation
Die berührende Geschichte einer schwierigen Vater-Tochter-Beziehung.
Als er wegen eines Schwächeanfalls in ein Krankenhaus eingeliefert wird, spürt Theo, dass er am Ende seines Lebens angekommen ist: Er ist alt und fortan pflegebedürftig, was ihn eine Ohnmacht und Hilflosigkeit spüren lässt, die er bisher nicht kannte. Er zieht Bilanz, ist in Gedanken oft bei seiner früh verstorbenen ersten Frau, deren Sterben er erst jetzt richtig begreift, und er erinnert sich an nicht mehr gut zu machende Versäumnisse, während ihm die Gegenwart und die bisher glückliche Ehe mit Berta aus dem Gleichgewicht geraten. Aber auch dieses letzte Lebensjahr bringt noch einmal Glück und einen Neuanfang durch die junge ukrainische Pflegerin Ludmila, die sein Herz erreicht, wie weder Berta noch seine seit Jahrzehnten entfremdete Tochter Frieda es vermögen. Ludmila wird zu Theos letzter Liebe, sie wird ihm zur Tochter, wie Frieda es nie war.

Für Frieda ist Theos liebevoller Umgang mit Ludmila, die Nähe zwischen den beiden, unbegreiflich und schmerzlich. Und doch erfüllt sie seine Bitte und reist in die Ukraine, um Ludmila zu ihm zurückzubringen. Im Gegenzug darf sie zum ersten Mal Einblick in Theos Kriegstagebuch nehmen, von dem sie sich die endgültige Antwort darauf verspricht, ob ihr Vater, entgegen seinen lebenslangen Beteuerungen, sich als Wehrmachtsangehöriger schuldig gemacht hat. Die Reise wird zu einer Spurensuche in die Vergangenheit, zu einem Versuch der nie geglückten Auseinandersetzung zwischen der Kriegsgeneration und den Nachgeborenen. Anna Mitgutschs Figuren balancieren auf dem schmalen Grat zwischen Nähe und Ferne, Zuneigung und Ressentiment, Schuld und Schuldlosigkeit auf eine Lösung - vielleicht Erlösung - zu, die es niemals geben kann. Bis sie begreifen, dass das Glück ein Schwebezustand ist, der niemals enden muss, und ihr gespanntes Schweben ein Glück.

Anna Mitgutsch, 1948 in Linz geboren, unterrichtete Germanistik und amerikanische Literatur an österreichischen und amerikanischen Universitäten, lebte und arbeitete viele Jahre in den USA. Sie ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen und erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Solothurner Literaturpreis sowie jüngst den Adalbert-Stifter-Preis. Sie übersetzte Lyrik, verfasste Essays und zehn Romane, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden.



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1

Es war ihm, als höbe er vom Boden ab, so leichtfüßig glitt er über den weichen Rasen, er spürte das Gras noch kühl vom Tau unter seinen Füßen, die Morgensonne schien mit der funkelnden Frische mancher Frühsommertage damals, vor mehr als neunzig Jahren. Er war wieder zu Hause und lief über die Wiesen hinunter ins Dorf, nahm die Hügelwellen fast wie im Flug, die Hänge waren von einem leuchtenden Grün, und mit der Leichtigkeit kehrte ein Glück in seinen Körper zurück, wie es ihn seit seiner Kindheit nicht mehr erfüllt hatte.

Ein lautes Krachen schreckte ihn aus seinem schwerelosen Zustand auf, lang genug, um von der hereinbrechenden Katastrophe in bodenlose Schwärze gestürzt zu werden.

Als Theo zu sich kam, lag er auf dem Schlafzimmerboden und sein Flanellnachthemd entblößte die dünnen Beine, aus denen die Kniescheiben hervorragten. Die Deckenlampe erhellte den Raum und Berta stemmte sich gegen seinen Rücken, sie hatte ihn unter den Achseln gefasst und versuchte, ihn aufzurichten und von der Bettkante, gegen die er gestürzt war, wegzuziehen. Er spürte den reißenden Schmerz in seinem Hinterkopf, er erinnerte sich mit Bedauern an den grünen Wiesenhang und hätte sich auf dem weichen Gras gern noch ein wenig ausgeruht. Lass mich, wollte er sagen, ich komm schon allein hoch, aber zwischen Gedanken und Worten war eine Sperre und der Satz verhedderte sich im Mund zu einem dumpfen Lallen. Da erst packte ihn Entsetzen und sein Magen verkrampfte sich bei der jähen Gewissheit, die als fertiger Satz aus einer fernen Erinnerung aufstieg: Das ist der letzte Steilhang vor dem Ende. Nun würde alles diesen Hang hinunterrasen und es gab nichts mehr, das den Sturz aufhalten konnte. Wie das Kind, als das er sich eben noch gefühlt hatte, robbte er auf seinem linken Ellbogen zu seiner Bettseite zurück. Dort blieb er erschöpft liegen und dort hoben ihn die inzwischen eingetroffenen Sanitäter auf die Bahre und trugen ihn die Außentreppe hinunter zum Rettungswagen.

Zwei Wochen lang lag er in einem weißen Bett über den Dächern der Stadt. Draußen wirbelte der Schnee, es wurde hell, eine wässerige Wintersonne stand eine Weile am Himmel und verschwand, es dämmerte, es wurde wieder Nacht, er zählte die Tage nicht, sie gingen gleichförmig dahin. Er war nie allein, er döste in einem angenehmen Halbschlaf, zufrieden und schmerzlos, und sah den Schwestern zu, wie sie hin- und hergingen, Infusionsbeutel wechselten, Tee brachten, ihm halfen, den Löffel zum Mund zu führen, sich mit geschulten Händen an seinem Körper zu schaffen machten, junge, energische Frauen, sie taten es mit einem Lächeln, das keine Dankbarkeit forderte. Er war ein guter Patient, er war geduldig und beklagte sich nicht. Nur das Reden fiel ihm schwer, und so sehr er sich auch bemühte, sein Mund brachte nichts Verständliches hervor. Als Berta, seine Frau, ihn besuchen kam, starrte sie entsetzt auf sein asymmetrisch verzerrtes Gesicht, seine schlaffe rechte Wange, den feuchten, herabhängenden Mundwinkel.

Ich kann dich nicht verstehen, jammerte sie, als er sie begrüßte. In ihrem Blick lag hilflose Panik.

Aber du musst doch gar nichts verstehen! Das hätte er ihr gern gesagt, sie hatten nie Worte gebraucht, um einander zu verstehen, das war ja gerade das Wunderbare an ihrer Beziehung. Um Erklärungen ging es nicht, darum war es in ihrer Ehe nie gegangen. Die Hauptsache war, dass sie da saß, an seiner Seite, das war ihm tröstlich genug. Bleib einfach da, bei mir, versuchte er zu sagen, und sie beugte sich zu ihm, ganz nah an seinen Mund, um ihn so besser zu verstehen. Er tastete mit seiner rechten Hand, die ihm nicht recht gehorchen wollte, nach ihrer warmen festen Hand, er spürte sie durch die Bettdecke irgendwo in Reichweite auf seinem Oberschenkel. Den Zeigefinger der Linken legte er auf seinen Mund und versuchte ihr zuzuzwinkern, sie schenkte ihm ein verschmitztes Lächeln. Wir müssen nicht reden, hieß das. Diesmal verstand sie ihn. Ihre Gege