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Aus hartem HolzOverlay E-Book Reader

Aus hartem Holz

Roman | Annie Proulx


2017 Luchterhand Literaturverlag; Scribner
896 Seiten
ISBN: 978-3-641-19206-8

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Kurztext / Annotation
Annie Proulxs erster Roman seit über zehn Jahren, das lang erwartete Meisterwerk der Pulitzerpreisträgerin: ein monumentales Epos, das lebensprall, sprachgewaltig und intensiv dreihundert Jahre nordamerikanischer Geschichte einfängt und von der Abholzung der scheinbar endlosen Wälder erzählt, vom ewigen Kampf zwischen Mensch und Natur.

Annie Proulx wurde für ihre Romane und Erzählungen mit allen wichtigen Literaturpreisen Amerikas ausgezeichnet, dem PEN/Faulkner Award, dem Pulitzer-Preis, dem National Book Award sowie dem Irish Times International Fiction Prize. Außerdem wurde sie in die American Academy of Arts and Letters aufgenommen. Die Verfilmung ihrer legendären Kurzgeschichte »Brokeback Mountain« wurde 2005 mit drei Oscars ausgezeichnet. Annie Proulx lebt in New Hampshire.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1
Trépagny

Im Zwielicht kamen sie an den elenden Weilern Tadoussac, Kébec und Trois-Rivières vorbei, und kurz vor der Morgendämmerung legten sie bei einer gottverlassenen Siedlung am Ufer an. René Sel, drahtige schwarze Haare, schräggeschnittene Augen - yeux bridés, denn in alten Zeiten hatten einfallende Hunnen zu seinen Vorfahren gezählt -, hörte jemanden das Wort »Wobik« sagen. Moskitos bedeckten ihre Hände und Hälse wie ein Pelz. Ein Mann mit gelben Augenbrauen dirigierte sie zu einem Haus, dunkel vor Regen. Schlamm, Regen, Insektenstiche und der Geruch von Weiden war ihr erster Eindruck von La Nouvelle-France. Der zweite Eindruck war der eines riesigen dunklen Waldes, einer unwirtlichen Wildnis.

Die Neuankömmlinge, die im Regen darauf warteten, dass sie aufgerufen wurden, um ihre Zeichen in eine große Kladde einzutragen, sahen die Bauern unter dem Schutz einer Kiefer wie zu einem Klumpen zusammengedrängt stehen. Die Bauern starrten sie an und kommentierten sie untereinander.

Als René an die Reihe kam, setzte er nicht nur ein X auf das Blatt, sondern auch ein R - durch einen Tintenklecks der Feder verunstaltet -, denn diesen Buchstaben hatte er als Kind von dem alten Priester gelernt, der gesagt hatte, es sei der Anfangsbuchstabe seines Namens René. Aber der Priester war im Winter den Hungertod gestorben, bevor er ihm die weiteren Buchstaben hätte beibringen können.

Gelbaugenbraue betrachtete das R. »So, so, wir sind gebildet, wie?«, sagte er. Er bellte: »Monsieur Claude Trépagny!«, und Renés neuer Dienstherr, ein muskulöser Mann mit torkelndem Gang, winkte ihn zu sich. Er hielt einen Stock, als wäre es eine Keule. Regentropfen hingen in der Wolle seiner Strickmütze. Die dicken Brauen konnten das Glitzern seiner Augen nicht verschatten, deren Weiß so hell blitzte, dass man daraus fälschlich auf ein lebhaftes Gemüt schloss. »Wir müssen ein wenig warten«, sagte er zu René.

Der feuchte Himmel sackte herunter. Sie warteten. Gelbaugenbraue, der Statthalter, den Renés neuer Dienstherr Monsieur Bouchard nannte, bellte wieder: »Monsieur Trépagny!«, worauf diesmal eine vertraute Erscheinung vortrat, Charles Duquet, ein magerer engagé von dem Schiff, ein Schwächling aus den Pariser Elendsvierteln, der unterwegs meistens wie ein geknickter Zweig in einer Ecke gekauert hatte. Aha, dachte René, Monsieur Trépagny hatte sich zwei Bedienstete besorgt. Vielleicht war er wohlhabend, auch wenn sein durchnässter Drouguet-Mantel geflickt war.

Monsieur Trépagny stapfte auf dem schlammigen Weg einer Wand schwarzen Nebels entgegen. Sein Gehen war eher ein Voranschlingern auf seinen unterschiedlichen Beinen, das eine gelenkig, das andere steif. Er sagte: »Allons-y.« Sie tauchten in das düstere Land ein, einen dichten Hartholzwald, dazwischen immer wieder Kieferngruppen. René traute sich nicht zu fragen, welche Dienste von ihm erwartet wurden. Nach Jahren männlicher Arbeit des Holzfällens im Morvan wollte er kein Dienstbote werden.

Nach wenigen Stunden ging der durchweichte Laubmoder in Nadelwaldhumus über. Die Luft war zutiefst würzig. Kiefernnadeln säumten ihren Weg, und die verschlungenen Zweige schluckten ihr Keuchen. Hier wuchsen gewaltige Bäume, wie man sie in der alten Heimat seit Jahrhunderten nicht gesehen hatte, immergrüne Riesen, höher als Kathedralen, wolkenstechende Fichten und Hemlocktannen. Die gigantischen Laubbäume standen voneinander entfernt, aber ihre blattbeladenen Äste und Zweige verbanden sich oben zu einem Scheinhimmel, dunkel und ungezähmt. Sein älterer Bruder Achille hätte die Bäume in Nouvelle-France atemlos bestaunt. Spät am Tag kamen sie an einem Abhang voll weißschimmernder Baumstämme vorbei. Dies, sagte Monsieur Trépagny, seien bouleaux blancs, aus deren Rinde die sauvages Häuser und Boote fertigten. René glaubte ihm kein Wort.